Wie bist du Mitglied in der Gewerkschaft geworden?
In meiner ersten Ausbildung zum Automateneinrichter und als Kind einer Arbeiterfamilie war es 1977 nicht möglich, in Siegen die Berufsschule zu besuchen, ohne vorher der IG Metall beizutreten. Vor der Berufsschule standen einige Gewerkschafter der IG Metall und hielten mir das Beitrittsformular vor die Nase. Die Unterschrift war dann Formsache und gleichzeitig auch Überzeugung.
Ein Automateneinrichter ist jemand, der zum Beispiel eine Drehbank so einrichtet, dass sie ein Produkt in Masse produziert. Für ein nächstes Produkt muss der Automat dann entsprechend neu angepasst werden. Ich habe in meiner Zeit als Automateneinrichter etwa eine Million Schubkarrenachsen produziert.
Anschließend war ich einige Zeit in Höhr-Grenzhausen Betriebsschlosser in einem Keramikmassen-Herstellungsbetrieb und wechselte damit zur IG Bau Steine Erden.
Dann ruhte meine Gewerkschaftsmitgliedschaft, denn ich war sechs Jahre lang selbstständiger Forstunternehmer.
Nach meiner Anstellung bei der Hatzfeldt-Wildenburg´schen Verwaltung bin ich direkt wieder eingetreten, und zwar in die Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft, die dann mit der IG BSE zur IG Bau Agrar Umwelt fusionierte.
Welche Funktionen hast du bisher in deiner Gewerkschaft ausgeübt?
Ich war Betriebsrat bei der Hatzfeldt Wildenburg´schen Verwaltung, teilweise auch Vorsitzender. Hier gibt es schon seit den fünfziger Jahren einen Betriebsrat. Es ist der größte private Forstbetrieb in Rheinland-Pfalz und Brandenburg und gehört der Familie der Grafen Hatzfeldt.
Ich war Mitglied in verschiedenen Tarifkommissionen: Tarifkommission Private Forstwirtschaft Rheinland Nassau und Bundestarifkommission Landwirtschaft der IG BAU, Bundestarifkommission Zusatzversorgung Land- und Forstwirtschaft.
Ich war fast 25 Jahre in Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz aktiv als Mitglied der Vollversammlung und davon zwei Wahlperioden im Vorstand. Außerdem war ich Mitglied der Vizepräsidentenkonferenz des Bundesverbandes der Landwirtschaftskammern VLK. (Informationen zur Landwirtschaftskammer, siehe unten)
Augenblicklich bin ich noch Mitglied des Rentenwiderspruchsausschusses der SVLFG (Verbund aus Landwirtschaftlicher Berufsgenossenschaft, Landwirtschaftlicher Alterskasse, Landwirtschaftlicher Krankenkasse und Landwirtschaftlicher Pflegekasse) in Speyer.
Und ich bin Mitglied des Vorstandes des DGB Kreisverband Altenkirchen.
Was ist die Motivation für dein Engagement?
Letztlich eine Form von Egoismus: ich habe meine Vorstellungen davon, wie Menschen gut gemeinsam leben können und wie mit der Natur umgegangen werden soll. Und wenn ich will, dass das wahr wird, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich dafür einzusetzen.
Als Gewerkschafter halte ich die Mitbestimmung für ein gutes Instrument, um sich einzubringen und etwas für die Kollegen und Kolleginnen und damit auch für mich zu erreichen.
Geprägt worden sind meine Vorstellungen von ganz vielen Aspekten: ich bin Arbeiterkind und war in den Siebzigern auf einer liberalen Schule in Neunkirchen, Siegerland. Ich bin in Herdorf, RLP, aufgewachsen und da es in Rheinland-Pfalz damals noch keine Lehrmittelfreiheit gab, in NRW aber schon, sind viele Kinder ab der 5. Klasse nach Neunkirchen auf die Schule. Das hat es den Eltern leichter gemacht – finanziell meine ich.
Ich habe in mehreren Wohngemeinschaften gelebt und da gelernt, die Mitmenschen mit ihren Eigenarten zu akzeptieren. Als junger Mensch fällt es leicht, damit umzugehen und das hat mir für meine ganzes Leben geholfen.
Weil ich durch meinen Lebensweg oft über den Tellerrand hinausgeguckt habe, konnte ich in den Gremien, in denen ich mitgearbeitet habe, öfters ungewöhnliche Ideen einbringen. Ein bisschen Fantasie und Kreativität können helfen, wenn man gemeinsam etwas erreichen will.
Wenn du zurückschaust, was sind für dich Erfolge, an die du dich gerne erinnerst?
Der Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland. Selbstverständlich war ich auf der Anti-AKW-Demo im Bonner Hofgarten 1979. Erneuerbare Energien sind mir ein Anliegen. Ich habe die letzten achtzehn Jahre vor meiner Rente unter anderem einen Campingplatz geführt und dort viele Neuerungen im Bereich Energie umgesetzt.
Es gibt einen Film vom swr, der darüber berichtet, wie die Hatzfeldt Wälder nachhaltig bewirtschaftet werden und in dem der Geschäftszweig „Ferienbetriebe“ eine Rolle spielt:
Nachhaltige Waldwirtschaft - Dokumentation SWR
Da habe ich vieles umsetzen können. Ein Beispiel ist auch, dass einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach der Betriebshalle bauen konnten.
Die Zusammenarbeit in der Vizepräsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern und dabei der enge Kontakt zu den Arbeitnehmerreferenten der Kammern sowie zur Gewerkschaftsspitze sehe ich auch als Erfolg an. Wir bearbeiteten zusammen Themen wie Berufsbildung, gemeinsamer Musterarbeitsvertrag, Agrarjobbörse, Ökologie und Ökonomie, Arbeitnehmerberatung, Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter und vieles mehr.
Als ungelernter Waldarbeiter mit geliehener Motorsäge habe ich mir anfangs viel von den damals meist jugoslawischen Waldarbeitern abgeguckt und nach meiner Anstellung bei Hatzfeldt dann von meinem lieben, leider schon verstorbenen, Kollegen Johannes. Erst dann habe ich den Beruf gelernt – mit der Unterstützung des Arbeitgebers – und wurde zunächst Forstwirt, dann Meister.
Als Betriebsrat haben wir in meinen Anfangsjahren etwas wichtiges durchgesetzt: die Waldarbeiter haben bis dahin für Akkordlohn geschafft. Das geht auf die Knochen. Und wir haben damals den Zeitlohn durchgesetzt, das war eine riesige Veränderung.
Was macht deine Arbeit schwer? Welche Hindernisse fallen dir ein?
Wir sind als Gewerkschafter zu wenige und der Nachwuchs fehlt. Junge Menschen kennen kaum die Gewerkschaft und sehen keinen Sinn darin, mitzumachen oder sogar Beitrag zu zahlen.
Ich habe schon vor fünfzehn Jahren im Bundesvorstand die Diskussion angeregt, wie die Gewerkschaft wieder „sexy“ werden kann.
Die hohe Zahl der AfD-Wähler und -Wählerinnen in den Gewerkschaften macht mir Sorge, wir müssen „Klare-Kante-gegen-Rechts“ zeigen. Deshalb engagiere ich mich im DGB-Kreisverband Altenkirchen. Der Vorsitzende Axel Karger trägt dieses Bekenntnis in die Öffentlichkeit. Ich sage: „Wenn du gegen Nazis kämpfst, darfst du nicht allein sein. Es müssen mindestens zwei Mitstreiter*innen hinter dir stehen. Und davon will ich einer sein.“
Was wäre nötig zur Veränderung?
Gibt es konkrete politische Forderungen, die du hast?
Eine Idee: Aus meiner Sicht muss es im Beruf möglich sein, mit dem Älterwerden die erste Reihe, was die Verantwortung betrifft, verlassen zu können, und aus der zweiten Reihe heraus die jungen Kollegen und Kolleginnen zu unterstützen, die die Verantwortung übernehmen. Da gibt es leider zu wenige Konzepte für. Dies könnte für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben sorgen.
Wir müssen „Klare-Kante-gegen-Rechts“ zeigen und uns auch innerhalb der Gewerkschaft fragen, warum so viele von uns AfD wählen. Die Diskussionen müssen stattfinden.
Und wir müssen weiterhin Eintreten für die Sicherung beziehungsweise Verbesserung der Renten. Wir brauchen Einkommen, die zur normalen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ausreichen, damit die Menschen keine Angst haben vor dem Abgehängt werden.
Du lebst hier im nördlichen Westerwald am Übergang zum Siegerland und dem Bergischen. Was braucht diese Region aus deiner Sicht, um gutes Leben für alle Altersgruppen zu gewährleisten?
Ganz einfach: Die Schuldenbremse für Kommunen muss weg. Wem nutzt es, wenn eine Gemeinde keine Schulden hat und dafür vollkommen unattraktiv zum Leben geworden ist?
Wir brauchen eine gute Infrastruktur bei Gesundheit, ÖPNV, Kultur, Sport, Schulen und Kindergärten.
Zum guten Leben gehört auch Freiheit und Demokratie. Dies zu erhalten, ist unsere wichtigste Aufgabe. Das muss nicht immer nur „demonstriert oder kundgegeben“ werden, sondern wir sollten das auch feiern.
Welche Rolle spielt der DGB in deinem Tun?
Die politische Arbeit insbesondere im Kampf gegen rechts waren der Auslöser, in den Kreisvorstand zu gehen und dort mitzuarbeiten. Die Mitgliedsgewerkschaften sind für ihre Mitglieder zuständig, der DGB übernimmt die politische Vertretung. Das ist wichtig.
Gibt es ein konkretes Anliegen/Vorhaben, das du gerne in den nächsten zwei Jahren umsetzen möchtest?
Die 1. Mai Veranstaltung bei uns in Wissen soll aufgepeppt werden. Die Botschaften müssen weiterhin transportiert werden, der Rahmen soll Spaß machen und zum Mitmachen animieren. Ich habe so einige Ideen: wir könnten zum Beispiel mit einigen Kitas eine Demo für den 1. Mai organisieren und die Kinder schreiben ihre Forderungen auf die Plakate.
Oder: es gibt so etwas wie einen Bazar oder Flohmarkt. Auch die Küche kann sich verändern und internationaler werden. Ein Internationales Fest vielleicht im Wald mit vielen Beteiligten. Der Kreisvorstand arbeitet daran.
Unterm Strich: welches Fazit ziehst du für dein bisheriges Engagement?
„Es gibt nichts Gutes außer man tut es.“
Es gibt eigentlich gar nichts, wenn man nicht dafür arbeitet. Aber das Arbeiten darf auch Spaß machen.
Danke, Matthias, für das Gespräch und dir weiterhin alles Gute für deine Vorhaben!
Hintergrund:
Die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz ist die berufsständische Selbstverwaltung der Landwirte, Winzer, Gärtner und Forstwirte.
Die Aufgaben der Landwirtschaftskammer sind in einem Landesgesetz festgelegt. Dort heißt es: "Die Landwirtschaftskammer hat die Aufgabe, im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit die Landwirtschaft und die in ihr Berufstätigen zu fördern und ihre fachlichen Belange zu vertreten".
Ihre Arbeit ist gekennzeichnet durch:
- Selbstverwaltung:
In den Entscheidungsgremien der Landwirtschaftskammer bestimmen ehrenamtlich gewählte Landwirte, Winzer, Gärtner, Forstwirte und Landfrauen die Positionen und Arbeitsschwerpunkte der Kammer selbst. Dies geschieht in der Vollversammlung, im Vorstand und in den Ausschüssen.
- Mitwirkung:
Die Kammer wirkt an der Gestaltung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft als beratendes Gremium von Politik und öffentlicher Verwaltung direkt und aktiv mit.
- Fachkompetenz:
Rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten, helfen den Betrieben unmittelbar und bringen die Kompetenz ihres jeweiligen Fachbereichs und die Positionen der Landwirtschaft in öffentliche Entscheidungsprozesse ein.
- Interessensausgleich:
Die Landwirtschaftskammer ist eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts. Sie hat daher die Aufgabe, die fachlichen Interessen und Belange der Landwirtschaft und der hier Berufstätigen im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit zu vertreten.
Quelle: https://www.lwk-rlp.de/themen/aufgaben
Das Gespräch führte Edith Sauerbier, DGB Koblenz