Hans-Joachim Gerloff
Foto: Juraschek
Seit April 2019 Bezirksleiter der IGBCE Mittelrhein in Neuwied
Gelernter Elektronikfacharbeiter
Seit 1991 Gewerkschaftssekretär der IGBCE
- 2005 in Köln, - 2011 in Moers, - 2019 in Hauptverwaltung in Hannover, Abteilung Tarifpolitik
Wie bist du zu deinem gewerkschaftlichen Engagement gekommen?
Ich habe bei den Stickstoffwerken in Piesteritz gearbeitet und habe dort erlebt, dass ein Kollege völlig ungerecht behandelt wurde. Ich hatte schon immer einen Gerechtigkeitssinn und deshalb bin ich aktiv geworden. Ja, und dann habe ich Schulungen der Gewerkschaft besucht, um mich in arbeitsrechtlichen Fragen fit zu machen, und nach ein paar Jahren hat mich ein Gewerkschaftssekretär von der Industriegewerkschaft Papier, Chemie und Keramik (PCK) angesprochen, ob ich nicht hauptamtlich bei der IG CPK werden möchte. Das habe ich mir überlegt und im September 1990 habe ich in Freiburg im Breisgau meine Ausbildung zum Gewerkschaftssekretär begonnen.
Nun bin ich das schon fast 35 Jahre und das bei der besten Gewerkschaft der Welt (Schmunzelt).
Was war und ist deine Motivation, dich gewerkschaftlich zu betätigen?
Mir geht es um Gerechtigkeit. Nicht immer war das zu meinem Vorteil, aber da kann ich nicht anders. Wenn ich etwas als ungerecht empfinde, werde ich aktiv. Und das zweite, wovon ich überzeugt bin: nur zusammen erreichen wir etwas, also Solidarität.
Welche Ereignisse sind aus der Rückschau bedeutsam gewesen?
Ich habe in den Jahren viele Betriebe begleitet, die es leider nicht mehr gibt. Bei einigen ist es gelungen, die Schließung der Standorte hier in Deutschland zu verhindern. Das waren harte Kämpfe.
Ich denke z.B. an das Werk von Degussa in Hürth. Das stand vor der Schließung und da bin ich mit dem Betriebsrat zusammen nach Frankfurt ins Haupthaus gefahren, um mit dem Chef zu sprechen.
Das habe ich auch gelernt: Du musst mit den Entscheidern sprechen. Oft sitzen dir in Verhandlungen die gegenüber, die gar nicht entscheiden können. Das bringt nichts. Das verzögert und kostet Kraft. Du musst direkt zu den Entscheidern gehen.
Für Degussa in Hürth haben wir erreicht, dass der Chef einem Plan zugestimmt hat, dafür ein bestimmtes Budget freigegeben hat und sich vorbehielt, jederzeit das Programm zu stoppen, aber wir haben es umgesetzt bekommen.
Ein Drittel der Belegschaft war fit für die Jobs, die gemacht werden mussten, ein Drittel wurde durch Weiterbildungen qualifiziert und für ein Drittel brauchten wir einen Sozialplan. Und letztlich ist es uns gelungen, dass nur 10 von etwa 750 Beschäftigten hart gekündigt wurden.
Das kann einen dann schon auch stolz machen, weil man wirklich etwas erreichte für die Menschen und für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Bei Verhandlungen muss man immer darauf achten, dass es auch für die andere Seite eine win-win-Lösung ist. Man muss ihr etwas anbieten, dem sie sich nicht verschließen kann.
Ein Beispiel dazu: in einem Betrieb sollte den Mitarbeiter*innen das Weihnachtsgeld gestrichen werden. Da bin ich mit dem Betriebsrat zum Chef, das Unternehmen war Eigentümer geführt, und habe ihm gesagt, dass eine solche Entscheidung für die Mitarbeiter*innen völlig demotivierend ist und ihm das Folgekosten bringen würde. Er solle besser „nur“ etwas kürzen und dazu sagen, dass das gestrichene Weihnachtsgeld eine Investition in die Zukunft ist.
Nach einigem hin und her schien ihm das einzuleuchten und er rief seinen Sohn dazu, der für die Finanzen zuständig war, und schlug ihm das vor. Der Sohn argumentierte dagegen mit der finanziellen Situation und wir konnten erleben, dass der Vater jedoch so davon überzeugt war, unser Vorschlag sei richtig, dass er dem Sohn die Anweisung gab, das Weihnachtsgeld zur Hälfte auszuzahlen.
Auf welche Erfolge kannst du blicken?
Die beiden eben genannten würde ich als Erfolg bezeichnen. Davon gibt es noch mehr.
Der K+S Konzern wollte ein Segment nicht mehr. Da bin ich nach Münster (Westfalen) gefahren in den Firmensitz zusammen mit dem Betriebsrat und wir haben erreicht, dass wir als Arbeitnehmerseite den Herauslösungsprozess begleiten durften und einbezogen wurden.
Ich habe da meist externe Unterstützung dabei, einen Rechtsbeistand und einen Wirtschaftssachverständigen. Es ist wichtig, kompetent aufzutreten und für alle Fragen, die auftauchen können und scheinbare Hindernisse sind, Antworten oder Lösungsvorschläge direkt parat zu haben.
Der neue Eigentümer musste Gespräche mit uns - also dem Betriebsrat und der Gewerkschaft führen – und wir verständigten uns auf Tarifbindung, Standortgarantie und eine lange Haltezeit, bevor dieser Bereich weiterverkauft wurde. Und auch in diese Verkaufsgespräche wurden wir einbezogen, konnten den Verkauf begleiten und die beiden Standorte gibt es bis heute, auch wenn sie mehrfach die Besitzer gewechselt haben.
Ich betreue den Gesamtbetriebsrat der Steinzeug-Gruppe, die auch hier in der Region zwei Standorte hat, in Sinzig und Ötzingen. Und da gelingt es im Moment, dass der neue Investor aus Singapur, der selbst aus Deutschland kommt, mit dem Betriebsrat zusammen verhandelt um Tarifbindung, Standortsicherung und gute Bedingungen für diejenigen, deren Stellen abgebaut werden.
Der neue Investor hat das Knowhow, mit erneuerbaren Energien CO2 freie Fliesen herzustellen, was ein ganz großes Ding für die Zukunft ist. Ein Energiepark in Ötzingen hätte für die Industrie im vorderen Westerwald große Bedeutungen. Da würden auch die Werke in Wirges und Ransbach-Baumbach von profitieren, die ebenfalls energieintensive Betriebe sind und Energiesicherheit brauchen.
Bei dem Ganzen hilft das Netzwerk innerhalb der IGBCE, so dass auch in Berlin Druck auf die Politik gemacht wird, ein solches zukunftsweisendes Projekt entsprechend zu unterstützen.
Denn es gilt: jeden Industriearbeitsplatz, den wir verlieren, verlieren wir für immer.
Also nochmal zusammengefasst:
Wenn Du in Verhandlungen gehst, musst du wissen, wohin du willst. Wie du dahin kommen kannst. Und wen du dafür brauchst. Und die Entscheider brauchst du auf jeden Fall.
Gibt es Situationen, die du auch als Scheitern bezeichnen würdest? Was würdest du heute anders machen?
Ja. Die Westerwälder Osmose in Staudt ist im Jahr 2023 in Insolvenz gegangen. Wir waren zusammen mit dem Insolvenzverwalter Lieser hier aus Koblenz auf einem guten Weg, hatten auch einen Investor gefunden, aber es ist letztlich an den Eigentümern gescheitert, deren Personalbesetzung nicht tragfähig für die Verhandlungen war. Das war bitter. Aber da kannst du nichts machen.
In deine Zeit hier in Neuwied fallen mehrere große Krisen: Corona Pandemie, Lieferketten, Energie, Ahrtal Flutkatastrophe.
Was gibt es aus deiner Sicht heute dazu zu sagen?
Ich war im Frühjahr 2019 nach Neuwied gekommen. Nach wenigen Monaten begann die Corona-Pandemie und hat es mir schwer möglich gemacht, in die Betriebe zu fahren, die Menschen kennen zu lernen und regionale persönliche Kontakte aufzubauen. Das war fast zwei Jahre nicht möglich. Das war hart. Ich konnte nicht das tun, was zu meinem Selbstverständnis unverzichtbar ist: Kontakte aufbauen, nah bei den Menschen sein, in den Betrieben ansprechbar zu sein.
Zur Flut-Katastrophe im Ahrtal: da war einzigartig, wie schnell der „Verein Gewerkschaften helfen e.V.“ mit Sofortauszahlungen vor Ort waren. Da hat das Team um Sebastian Hebeisen vom DGB einen phänomenal guten Job gemacht. Wir von der IGBCE haben das begleitet und auch durch eigene Finanzmittel betroffenen IGBCE-Mitgliedern geholfen. Das war wirklich beeindruckend. Das bleibt mir in Erinnerung.
In all den Krisen muss Solidarität bleiben. Wenn wir sie aufgeben, haben Gewerkschaften keine Chancen. Ich sehe den Industriestandort Deutschland in Gefahr. Und damit auch den sozialen Standard, den wir gewohnt sind. Und das bedeutet, so sehe ich das, dass unsere Demokratie gefährdet ist, so wie wir sie seit nach dem zweiten Weltkrieg hier in Deutschland kennen.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine war ein Katalysator dafür. Damit war die sicher geglaubte Energieversorgung weg.
Und dass Trump als US-Präsident trotz Verurteilung wiedergewählt wurde, das verschärft das Ganze. Man muss sich nur den sogenannten Zoll-Deal anschauen. Der ist äußerst bedrohlich für die deutsche Industrie.
Welche aktuellen gesellschaftspolitischen Themen beschäftigen dich und brauchen eine gewerkschaftliche Position/Begleitung?
Die anstehende Diskussion um die Rente muss gut gelöst werden. Das ist eine riesengroße Aufgabe. Rentenkürzungen sind so gut wie nicht möglich, da traut sich mit Recht keine Partei dran. Und gleichzeitig müssen diejenigen, die jetzt einzahlen, nicht weiter belastet werden. Das ist wirklich eine große soziale Herausforderung, wie damit umzugehen ist.
Aus meiner Sicht hilft nur Kreativität und die kostet Geld. Aus anderen Ländern kenne ich, dass Senior*innen kostenfrei den ÖPNV nutzen können, um mobil zu sein. Aber da hapert es bei uns an der Infrastruktur außerhalb der Städte. Da greift dann sofort vieles ineinander, wo seit Jahrzehnten Dinge versäumt wurden.
Im Ganzen nicht so schöne Aussichten!
1. Mai 2023 in Koblenz
Welche Bedeutung hat der DGB als Dachverband?
Worin siehst du seine Aufgabe?
Ein bedeutendes Ereignis war der 1. Mai 2023. Ein amtierender Bundeskanzler (Olaf Scholz) und die amtierende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (Malu Dreyer) zusammen bei einer Maikundgebung als Redner*innen, das war schon einzigartig. Das hat Sebastian Hebeisen mit seiner Truppe vom DGB wirklich gut hinbekommen! Das werde ich nicht vergessen!
Der Dachverband ist wichtig, er hält die Gewerkschaftsfamilie zusammen. Und er übernimmt die politische Vertretung. Damit ist er unverzichtbar.
Gibt es etwas, was du darüber hinaus noch sagen möchtest?
Ja, vielleicht eine Grundüberzeugung von mir: eine Gesellschaft hat nur eine Zukunft, wenn sie sich gemeinsam weiterentwickelt und die Solidarität als gemeinsamer Wert nicht aufgegeben wird.
Danke, Joachim, für das Gespräch, kurz bevor du in Rente gehst. Dein letzter Arbeitstag ist im November. Alles Gute für dich!
Das Gespräch führte Edith Sauerbier, DGB Koblenz