Wie bist du zu deinem gewerkschaftlichen Engagement gekommen?
Ich bin in Hamm in Westfalen am Rande des Ruhrgebiets aufgewachsen. Hamm war damals sehr vom Bergbau geprägt. Mein Vater war Bergmann und schaffte unter Tage. Er war 1972 nach Deutschland gekommen und 1975 kam die Familie nach. Ich war damals drei Jahre alt.
Damals gab es von der Gewerkschaft eine intensive Wohnbereichsarbeit. Diese schloss auch eigene Jugendzentren mit ein. Da hielt ich mich als 14jähriger auf und kam in Kontakt mit Gewerkschaftern. Es gab Filmabende und auch politische Diskussionsrunden. Und es war klar, die Gewerkschaft kümmert sich um ihre Leute, im Kleinen wie im Großen.
Dann stand meine Berufswahl an. Ich hätte eine Ausbildung als Mechaniker unter Tage machen können. Aber mein Vater gab mir den Rat, das nicht zu tun. Er wollte, dass ich über Tage arbeite. Ich habe als 16jähriger einige Bewerbungen geschrieben und hatte auch einige Vorstellungsgespräche.
Letztlich habe ich meine Lehre als Industriemechaniker im Hoesch Rohrwerke in Hamm begonnen. Im Vorstellungsgespräch saß damals die Ausbildungsleitung, der Ausbilder und ein Betriebsrat.
Dieser Betriebsrat hat mich lange begleitet. Er wurde später mein Mentor. Noch im ersten Lehrjahr sprach er mich mit weiteren Aktiven im Betriebsrat an, ob ich nicht für die Jugendvertretung kandidieren wollte.
Der Betriebsrat war damals fest in den Händen der Handwerker. Sie kannten den Betrieb und alle kannten sie, weil sie in allen Abteilungen arbeiteten. Ich habe da einige gestandene Kollegen kennengelernt und viel von ihnen gelernt. Und so wurde ich schon 1990 als Jugendvertreter gewählt.
1992 wurde ich mit einem starken Votum wiedergewählt, 1993 schloss ich meine Ausbildung ab und 1994 mit knapp 23 Jahren wurde ich dann auch in den Betriebsrat gewählt. Ich arbeitete weiter Schicht, das habe ich sieben Jahre gemacht: Früh-, Spät- und Nachtschicht im Wechsel.
In der Zeit habe ich auch meine Ausbildung zum Schweißer gemacht, denn es galt schon immer: „Was ich kann, will ich gut machen.“
Kannst du ein oder zwei Situationen oder Ereignisse benennen, die aus den frühen Jahren deines Engagements heute noch prägend sind?
Die neunziger Jahre waren bei Hoesch aufregende Jahre. 1993 kam es zur feindlichen Übernahme durch Krupp. Der Gesamtbetriebsrat organisierte eine Betriebsversammlung für alle Hoesch Werke in der Dortmunder Westfalenhalle. Es waren mehr als 20.000 Beschäftigte gekommen.
Da habe ich verstanden und erfahren, dass Masse Macht bedeutet.
Krupp veränderte Hoesch: alles, was nicht Stahl war, kam weg und es wurde neu strukturiert und aufgestellt.
Dann kamen wir zu Mannesmann und 1999 fällte die Leitung die Entscheidung, dass ein Geschäftsbereich, was die Hälfte des Standorts ausmachte, geschlossen werden soll.
Da haben wir als Betriebsrat von 15 Leuten einen großen Kampf organisiert. Wir sind von Halle zu Halle gegangen und haben zum wilden Streik aufgerufen. Alle haben mitgemacht! Vor den Werkstoren haben wir eine Zeltstadt aufgebaut, Kolleginnen und Kollegen haben dort übernachtet und wir haben eine große Solidarität erfahren. Kumpels kamen vorbei und brachten uns Kohle für die Tonnen, Politiker besuchten uns und drückten ihre Solidarität aus. Es ging um den Standorterhalt!
Mannesmann kam mächtig unter Druck und nach drei Tagen wurde die Entscheidung zurückgenommen. Es kam zu einem Kompromiss, den wir als Betriebsrat mittragen konnten.
Und den Standort gibt es heute in 2025 immer noch! Da waren wir erfolgreich.
Eines muss man noch sagen: Hoesch, Krupp, Mannesmann und später dann auch die Salzgitter AG waren deutsche Traditionsunternehmen, die bei aller Härte und Gewinnorientierung nie die Mitbestimmung oder die Tarifbindung in Frage gestellt haben.
Dann kam es auch zu der Entscheidung, Interessensvertretung für Kollegen und Kolleginnen zu deinem Beruf zu machen?
Ja. Der Kollege, der schon in meinem Vorstellungsgespräch dabei war, war mittlerweile Gewerkschaftssekretär der IG Metall Hamm. Wir hatten 1999 ein Gespräch, in dem er mich ermutigte, mich weiterzubilden und das Studium auf der Akademie der Arbeit AdA zu machen. Ich bewarb mich, durchlief das Bewerbungsverfahren und studierte 2000 bis 2001 auf der AdA in Frankfurt.
Ich habe dann dort im Wohnheim der AdA gewohnt und das Zimmer gegenüber von meinem gehörte Claif Schmincke, dem Kollegen, der später bei der IGM Betzdorf tätig war und vor einigen Jahren viel zu früh starb.
Nach der AdA im Mai 2001 bin ich wieder zurück in den Betrieb und war quasi freigestellter Betriebsrat. Es war noch unklar, was ich beruflich weiter machen würde.
Im Sommer hörte ich von der freien Stelle als Gewerkschaftssekretär bei der IG Metall in Koblenz und nach einem Gespräch mit meiner Frau bewarb ich mich.
Im September 2001 konnte ich dann hier in Koblenz als Gewerkschaftssekretär beginnen. 2013 trat ich die Nachfolge von Reiner Göbel als Bevollmächtigter an. Ich möchte dieses Interview nutzen, um Reiner noch einmal zu danken. Er hat uns eine toll strukturierte und finanziell gut aufgestellte Geschäftsstelle hinterlassen. Meine Aufgabe ist es nun, sie in die Zukunft zu tragen und weiterzuentwickeln.
Gibt es auch Situationen, in denen du sagen würdest, da sind die Gewerkschaften gescheitert? Die IGM? Vielleicht sogar du?
In unserer Arbeit als Gewerkschafter gibt es Erfolge und, ich würde sagen, Krisen oder schwierige Situationen. Es ist ein Erfolg, wenn wir einen Betriebsrat neu gründen können.
Und es ist eine Krise, wenn wir Insolvenzen begleiten.
Es ist ein Leben und Arbeiten in Widersprüchen.
Ohne eine stabile Psyche geht das nicht. Und ohne ein Leben in einer stabilen Partnerschaft geht es aus meiner Sicht auch nicht. Wenn ich zuhause nicht die Rückendeckung hätte, könnte ich meine Arbeit nicht mit dieser Kraft so kontinuierlich und langfristig tun.
Gibt es weitere Erfolge, an denen du durch dein Engagement mitgewirkt hast? Oder das Ergebnis beeinflusst hast?
2014 hatten wir hier einen Arbeitskampf in einem Betrieb und da habe ich gemerkt, dass das Streikkonzept der IGM an einer Stelle verändert werden müsste. Wir hatten bis dahin nur die Möglichkeit zum Warnstreik oder zum Streik nach Urabstimmung. Aber wir hatten nichts dazwischen.
Zusammen mit einigen Kollegen haben wir 2015 auf dem Gewerkschaftstag der IGM einen Antrag gestellt, das Streikkonzept um einen ganztägigen Warnstreik zu ergänzen. Der Antrag wurde angenommen und nun können wir den sogenannten 24-Stunden-Streik durchführen.
2016 waren wir in einem Arbeitskampf darauf vorbereitet, mussten den Streik aber nicht umsetzen, weil es vorher zu einer Einigung kam, aber in 2018 haben wir ihn dann erstmals hier in der Region durchgeführt.
Man kann also sagen, dass hier eine Weiterentwicklung der gewerkschaftlichen Instrumente stattgefunden hat.
Warum sind Gewerkschaften für dich unverzichtbar?
„Wir sind die Guten!“
Wir kämpfen für gute Löhne, für sichere Arbeitsplätze und -bedingungen und für ein gutes Leben.
Solange die Menschen erfahren „Die tun was für mich“, sind wir unverzichtbar.
So einfach ist das.
Müssen sich Gewerkschaften verändern? Und falls ja, wie?
Welche Ideen hast du für die Zukunft?
Wir sind im Moment mitten in der Transformation. Was sie für uns als Arbeitnehmer bedeutet, da haben wir nur mittelbar Einfluss darauf.
Der unmittelbare Einfluss liegt bei den Arbeitgebern oder den Eigentümern. Sie entscheiden über die Produkte und die Investitionen.
Ebenso unmittelbaren Einfluss darauf haben die politischen Entscheidungen. Politik entscheidet über die Rahmenbedingungen und die Möglichkeiten der Investition.
Ein Instrument, das wir gerade anwenden sind sogenannte Zukunftstarifverträge. In denen gibt es Regeln für Investitionen, Produkte, Beschäftigung und Standorte.
Wir wollen damit die Transformation aktiv gestalten.
Du bist Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses der größten Handwerkskammer in RLP. Welche Anliegen verfolgst du in dieser Tätigkeit?
Was ist dir daran wichtig?
Zunächst einmal: die Handwerkskammer ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das heißt, der Staat hat ihr hoheitliche Aufgaben übertragen, wie zum Beispiel das Prüfungswesen.
Gegenüber der Industrie- und Handelskammer gibt es zwei Vorteile: das eine ist die Handwerksordnung, die den gesetzlichen Rahmen für die Kammer vorgibt, und es gibt eine Drittel Beteiligung der Arbeitnehmer in der Vollversammlung sowie eine fünfzigprozentige im Berufsbildungsausschuss. Es ist mir deshalb eine Ehre, dem Berufsbildungsausschuss vorzusitzen.
Wenn wir gutes Leben wollen, ist die Stärkung der dualen Ausbildung nötig.
Es geht darum, hochkomplexe Zusammenhänge zu verstehen und da braucht es die Mischung von Theorie und Praxis in der Ausbildung.
Es erfüllt mich mit Stolz, dazu beitragen zu können. Ich will die duale Ausbildung stärken gegenüber Politik und der Regierung.
Und ich will, dass wir die Autonomie behalten, die die Handwerksordnung garantiert.
Ich verstehe mein Engagement in der Kammer als politisches Wirken und Mitgestalten.
Welche Bedeutung hat der DGB in deiner Arbeit?
Für alles, was wir nicht über die Mitgliedsgewerkschaften regeln können, ist der DGB zuständig, zum Beispiel für branchenübergreifendes Netzwerken, Vertreten und Treffen. Der Dachverband hält die Gewerkschaften zusammen und koordiniert sie. Wir brauchen eine ganzheitliche Sicht über die einzelnen Branchen hinaus.
Wenn es den DGB nicht gäbe, müsste man ihn neu erfinden.
Welche Kraftquellen hast du? Wie füllst du deinen inneren Tank immer wieder auf?
Meine Familie habe ich ja schon genannt.
Treu sein zu sich selbst. Ich möchte morgens gerne in den Spiegel schauen können. Und ich möchte, dass mein Tun heute noch etwas mit dem Ali im Schichtdienst bei Hoesch zu tun hat.
Mir ist klar, dass wir nicht die Welt retten, aber wir haben unzählige Möglichkeiten, die Welt gerechter und besser zu machen. Unser Bezirksleiter Jörg Köhlinger hat das Wort „Wirkmächtigkeit“ geprägt. Das bringt es auf den Punkt. Ich erlebe mich als wirkmächtig.
Das gibt meinem Leben Erfüllung und auch Stolz. Und ich bin dankbar, dass ich gesund bin.
Wenn du das nächste 1. Mai Motto festlegen dürftest, welches würdest du dem 1. Mai 2026 geben?
Anknüpfend an „Wir sind die Guten!“ würde ich sagen: „Mit den Guten auf die Straße!“
Danke, Ali, für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Edith Sauerbier, DGB Koblenz